Peter Singer: Alle, die können, sind verpflichtet, zu helfen

2. Peter Singer: Alle, die können, sind verpflichtet, zu helfen

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„Eine weitere moralische Mindestanforderung ist die Pflicht, Menschen in Not zu helfen. Gibt es eine Verfplichtung, Menschen in armen Ländern zu helfen? Die am meisten diskutierte Antwort stammt von Peter Singer, einem sehr bekannten  Philosophen, der aus Australien stammt. Er lebt heute aber in den USA und ist Professor an der Princeton-University. Peter Singers Antwort beginnt mit einem einfachen Beispiel: Stelle dir vor, du kommst auf dem Weg zur Schule an einem Teich vorbei. Aus dem Teich hörst du ein Kind schreien. Du gehst an den Teich heran und stellst fest: das Kind ist am Ertrinken. Niemand anders ist zu sehen. Du bist der Einzige, der helfen kann. Das Kind ist glücklicherweise leicht zu retten, denn es befindet sich immer noch nahe am Ufer. Du musst nur ein paar Schritte in den Teich gehen und das Kind herausziehen. Deine Kleidung wird nass werden und du wirst zu spät kommen. Aber steht das in einem Verhältnis zu einem toten Kind?“

„Ganz bestimmt nicht!“

„Ich denke, die moralische Verpflichtung ist klar und ich bin mir sicher, du würdest das Kind retten. Wenn du es nicht tun würdest und das Kind sterben würde, hättest du wahrscheinlich große Gewissensbisse. Ich glaube, die meisten Menschen würden so empfinden.“

„Das glaube ich auch. Aber was hat das mit armen Ländern zu tun?“

„Ganz einfach: Peter Singer nimmt an, dass es zwischen dem Kind im Teich und einem verhungernden Kind in der dritten Welt keinen Unterschied gibt. Die Verpflichtung zu helfen ist in beiden Fällen gleich groß.“

„Da werden viele einwenden, dass es hier doch ein paar Unterschiede gibt. Zum Beispiel gibt es nicht nur ein verhungerndes Kind, sondern tausende. Und die kann ein Einzelner nicht alle retten.“

„Das ist er erste Standardeinwand von mehreren. Zu engagierten Menschen wird manchmal gesagt: ‚Spar dir doch die Mühe. Du kannst nicht die ganze Welt retten.‘ Dieser Einwand ist aber sehr schwach. Stellen wir uns vor, in dem Teich wäre nicht nur ein Kind sondern fünfzig ertrinkende Kinder. Es wäre unmöglich für dich, alle fünfzig zu retten. Aber wäre es deshalb in Ordnung, einfach vorbeizugehen? Ich denke, es ist klar, dass dies nicht der Fall ist. Wenn noch mehr Kinder im Teich sind, bedeutet dies nicht, dass ich mit einem Mal kein Kind mehr retten sollte.“

„Dann wird man Peter Singer entgegnen: Während ich alleine vor dem Teich stehe, gibt sehr viele Menschen, die dem hungernden Kind in der dritten Welt auch helfen könnten. Warum soll ich helfen wenn andere es nicht tun?“

„Das ist der zweite Einwand. Ändern wir das Teichbeispiel noch einmal etwas ab: In dem Teich sind nicht nur fünfzig ertrinkende Kinder, sondern auf der Wiese an dem Teich spielt eine Gruppe von Hooligans Fußball. Kräftige Männer in kurzen Hosen und T-Shirts. Sie könnten die Kinder leicht retten. Jeder von ihnen fischt drei aus dem Teich. Aber die Kinder interessieren sie nicht. Du rufst sie zur Hilfe, aber sie winken ab und zeigen dir den Stinkefinger. Ignoranten von der schlimmsten Sorte. Wäre es jetzt in Ordnung, vorbeizugehen und die Kinder ertrinken zu lassen? Peter Singer sagt Nein. Die Pflicht zu helfen bleibt bestehen. Auch dann, wenn andere nicht helfen, für die das viel einfacher wäre.“

„Dann wird man einwenden, dass das verhungernde Kind tausende Kilometer entfernt ist. Man wird zu Peter Singer sagen: Mit diesem Kind in der dritten Welt habe ich nichts zu tun.“

„Das ist der dritte Standardeinwand. Macht räumliche Entfernung moralisch einen Unterschied? Auch dies verneint Peter Singer. Er begründet dies mit der Universalität moralischer Verpflichtungen. Wenn wir annehmen, dass die Menschenrechte überall auf der Welt gelten oder wenn wir glauben, dass alle Menschen gleichwertig sind, dann spielt räumliche Distanz moralisch keine Rolle.“

"Gut, nehmen wir an, Peter Singer hat recht. Wieviel sollte man dann geben?"

"Jetzt kommen wir zweifellos zu dem Grund, warum Singers Position so viel diskutiert wird. Dazu ändern wir das Beispiel noch einmal etwas ab: Du bist nicht auf dem Schulweg, sondern auf dem Weg zum Flughafen. Du hast einen teuren Flug gebucht, sagen wir nach Brasilien. Wenn du das Kind rettest, wirst du den Flug verpassen. Wie solltest du in diesem Fall handeln? Für Singer ist es klar, dass es wichtiger ist, das Kind zu retten, als den Flug nicht zu verpassen. Dahinter steht eine einfache Regel: 'Wenn es in unserer Macht steht, etwas sehr Schlechtes zu verhindern, ohne dabei etwas anderes von vergleichbarer moralischer Bedeutung zu opfern, so sollten wir dies, moralisch gesehen, tun.' Der Flug ist nicht von vergleichbarer Bedeutung wie das Leben des Kindes. Da aber die Armut auf der Welt groß ist und viele Menschen vom Tod bedroht sind, sollte man auf desto mehr spenden, je mehr man verdient."

"Dann dürfte man also niemals reich werden?"

"Nach Peter Singer nicht. Das erscheint vielleicht ungewöhnlich in einer Kultur, in der Geld einen hohen Stellenwert hat. Singer weist aber darauf hin, dass diese Haltung im christlichen Abendland keineswegs ungewöhnlich ist, denn im Neuen Testament gibt es das Armutsgebot. Für Singer ist der Verzicht aber kein Selbstzweck, sondern ein Mittel, um zu helfen. Manche seiner Anhänger haben deshalb besonders gut bezahlte Berufe gewählt, um noch mehr helfen zu können, indem sie besonders effektiven Hilfsorganisationen, die medizinische Hilfe leisten, Geld spenden. Singer ist klar, dass das nicht leicht ist, wenngleich er darin eine große Sinnerfüllung sieht. Deshalb empfiehlt er, mit einem kleineren Prozentsatz zu beginnen und diesen im Laufe des Lebens zu steigern. Von sich selbst sagt er, dass er inzwischen 20-30% spendet."

1. Aufgabe
Arbeite Peter Singers These und Argumente heraus.
2. Aufgabe

Da es für den Einzelnen alleine kaum möglich ist, Menschen in Armut zu helfen, sind Hilfsorganisationen für Peter Singer eine wichtige Möglichkeit, zu helfen. Man kann dies durch eine Spende tun oder in dem man selbst in einer Hilfsorganisation arbeitet. Hier stellt sich die Frage, welche Organisation man unterstützen sollte.

a) Begründe, welche der folgenden beiden Hilfsorganisation du eher unterstützen würdest:

- Eine Hilforganisation, die Spenden für blinde Personen sammelt, um sie mit einem Blindenhund zu unterstützen. Die Ausbildung eines Blindenhundes kostet ca. 40.000 Dollar. Damit kann einem blinden Menschen der Alltag erleichtert werden.

- Eine Hilfsorganisation, die Medikamente gegen Trachoma verteilt (eine Infenktion des Auges mit Bakterien), die in Entwicklungsländern sehr verbreitet ist. Mit 40.000 Dollar kann man zwischen 400 und 2000 Menschen von der Blindheit heilen, denn die notwendigen Medikamente sind sehr billig. Weltweit sind ca. 500 Millionen Menschen an Trachoma erkrant, ca. 6 Millionen sind erblindet.

b) Überprüfe, ob sich deine Antwort verallgemeinern lässt. Gibt es ein Kriterium, nach dem man eine Hilfsorganisation eher unterstützen sollte als eine andere?

c) Beschreibe Möglichkeiten, wie man überprüfen könnte, ob eine Hilfsorganisation die erhaltenen Gelder nicht verschwendet.

3. Aufgabe

Im Jahr 2007 gründeten zwei Anhänger Peter Singers, die bisher in der Finanzindustrie gearbeitet hatten, das Forschungsinstitut GiveWell, um Hilfsorganisationen zu bewerten. Zu den von ihnen empfohlenen Hilfsorganisationen gehören die Against Malaria Foundation, Give Directly und die Schistosomiasis Control Initiative.


a) Vergleiche diese Hilfsorganisationen durch eine Recherche im Internet:

Against Malaria Foundation

https://www.againstmalaria.com/

https://www.effektiv-spenden.org/against-malaria-foundation/

https://www.youtube.com/watch?v=Y-cZsGhxdJg  (Stichwort: Short CBS News feature on the Against Malaria Foundation)

Give Directly

 https://www.givedirectly.org/

https://www.effektiv-spenden.org/givedirectly/

 

Schistosomiasis Control Initiative

https://schistosomiasiscontrolinitiative.org/

https://www.youtube.com/watch?v=8OiCicBW-4Q (Stichwort: Schistosomiasis Control Initiative Neglected Tropcal Deseases)

b) Charakterisiere Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Spendenorganisationen.

c) Beurteile die Vertrauenswürdigkeit der Hilfsorganisationen. Beziehe dabei die Methoden ein, mit denen GiveWell Hilfsorganisationen überprüft:

https://www.effektiv-spenden.org/spenden-tipps/givewell-bedingungslose-transparenz/

https://www.givewell.org/

4. Aufgabe
Für Peter Singer ist die Nothilfe eine moralische Pflicht, sie hat aber auch für den Helfenden Vorteile. Ein Leben, das sich von der Moral leiten lässt, ist aus seiner Sicht ein glücklicheres Leben. Peter Singer vergleicht dabei das Glück, einem Menschen direkt das Leben zu retten, mit dem Glück, für hocheffektive Hilfsorganisationen wie der Against Malaria Foundation zu spenden. Laut der von Peter Singer unterstützten Against Malaria Foundation reichen 1000 Dollar, um einem Kind das Leben zu retten.

Nehme zu dieser Sichtweise Peter Singers Stellung.
5. Aufgabe

Peter Singer hat nicht nur darüber nachgedacht, ob es hinsichtlich der Weltarmut eine Pflicht zu helfen gibt, sondern auch wie sehr man helfen sollte. Die im Text genannte These lautet:

These: Wenn es in unserer Macht steht, etwas sehr Schlechtes zu verhindern, ohne dabei etwas anderes von vergleichbarer moralischer Bedeutung zu opfern, so sollten wir dies, moralisch gesehen, tun.

Erläutere, was mit “vergleichbarer moralischer Bedeutung” gemeint sein könnte. Beziehe dabei folgende Beispiele ein:

a) ein Kind aus dem Teich ziehen und zu spät zur Arbeit kommen
b) Geld zu spenden statt einen Urlaub in Spanien zu machen

Überlege, was Singers These für einen wohlhabenden Menschen, der monatlich 5000 € verdient, bedeuten würde. Bill Gates besitzt 110 Milliarden Dollar. Er hat versprochen, die Hälfte seines Vermögens zu spenden. Wäre dies nach Peter Singer genug?

Nehme zu Peter Singers These Stellung.

6. Aufgabe

Der Philosoph David Miller hat verschiedene Einwände zu Peter Singers Position formuliert.

Arbeite seine Einwände heraus und nehme zu ihnen Stellung. (Siehe Aufgaben Text 3)

7. Aufgabe

In dieser Aufgabe wird Peter Singers Position mit der Lehre des Christentums vergleichen.

Folgende Zitate stammen von katholischen Theologen bzw. aus dem Neuen Testament:

 a) Thomas von Aquin, Summa Theologica, II-II, Quaestio 66, Artikel 7. 

"Nach der Ordnung der Natur ist aber von der göttlichen Vorsehung her bestimmt, dass die niederen Dinge dazu da sind, der menschlichen Bedürftigkeit aufzuhelfen. Deshalb hindert die Verteilung und Zueignung der Dinge, die nach menschlichem Recht vor sich geht, nicht, dass der Not des Menschen durch eben diese Dinge begegnet werden muss. Daher ist der Überfluss, den einige haben, auf Grund des Naturrechtes dem Unterhalt der Armen geschuldet. So sagt Ambrosius - und das Wort ist auch in den Dekreten zu finden -: 'Es ist das Brot der Hungrigen, das du festhälst; das Kleid der Nackten, das du verschließest; der Loskauf der Elenden und ihre Befreiung ist das Geld, das du in der Erde vergräbst.'"

[…]

“Genau genommen ist es kein Diebstahl, wenn einer in großer Not vom Eigentum eines anderen heimlich nimmt, denn das, weas er zum eigenen Lebsnerhalt nimmt, wird kraft der Not sein Eigen.”
Quelle: Die deutsche Thomas-Ausgabe. Bd. 18, S. 211 f.

 b) Papst Paul VI.

“Es sei noch eimal wiederholt:  Der Überfluß der reichen Länder muß den ärmeren zustatten kommen. Die Regel, die einmal zugunsten der nächsten Angehörigen galt, muß heute auf die Gesamtheit der Weltnöte angewandt werden.”
Quelle: Paul VI. Populorum Progressio (1967), § 23.  http://www.vatican.va/content/paul-vi/de/encyclicals/documents/hf_p-vi_enc_26031967_populorum.html 

 c) Markus, 10:21

 17 Und als er auf den Weg hinausging, lief einer herbei, fiel vor ihm auf die Knie und fragte ihn: Guter Lehrer, was soll ich tun, damit ich ewiges Leben erbe? 18 Jesus aber sprach zu ihm: Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als nur einer, Gott. 19 Die Gebote weißt du: "Du sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsches Zeugnis reden; du sollst nichts vorenthalten; ehre deinen Vater und deine Mutter!" 20 Er aber sagte zu ihm: Lehrer, dies alles habe ich befolgt von meiner Jugend an. 21 Jesus aber blickte ihn an, gewann ihn lieb und sprach zu ihm: Eins fehlt dir. Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib den Erlös den Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel haben, und komm, folge mir nach! 22 Er aber ging, entsetzt über das Wort, traurig weg, denn er hatte viele Güter. 23 Und Jesus blickte umher und spricht zu seinen Jüngern: Wie schwer werden die, welche Güter haben, in das Reich Gottes hineinkommen! 24 Die Jünger aber erschraken über seine Worte. Jesus aber antwortete wieder und spricht zu ihnen: Kinder, wie schwer ist es, in das Reich Gottes hineinzukommen! 25 Es ist leichter, dass ein Kamel durch das Öhr der Nadel geht, als dass ein Reicher in das Reich Gottes hineinkommt. 26 Sie aber gerieten ganz außer sich und sprachen zueinander: Und wer kann dann gerettet werden? 27 Jesus aber sah sie an und spricht: Bei Menschen ist es unmöglich, aber nicht bei Gott; denn bei Gott sind alle Dinge möglich. - 28 Petrus begann und sagte zu ihm: Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt. 29 Jesus sprach: Wahrlich, ich sage euch: Da ist niemand, der Haus oder Brüder oder Schwestern oder Mutter oder Vater oder Kinder oder Äcker verlassen hat um meinetwillen und um des Evangeliums willen, 30 der nicht hundertfach empfängt, jetzt in dieser Zeit Häuser und Brüder und Schwestern und Mütter und Kinder und Äcker unter Verfolgungen - und in dem kommenden Zeitalter ewiges Leben. 31 Aber viele Erste werden Letzte und Letzte Erste sein.
Quelle: Elberfelder Bibel, Witten 2016.

a) Erläutere, welche Bedeutung Eigentum für Thomas von Aquin gemäß der “Ordnung der Natur” hat.

b) Nenne mögliche Gründe, warum Paul der VI. die Hilfe für Angehörige auf die gesamte Welt ausdeht. Beachte dabei Weltwirtschaft im Vergleich zu früheren Zeiten.

c) Interpretiere die Bibelstelle.

d) Vergleiche die Zitate mit der Position Peter Singers.